Öffentlich bauen – statt private fördern

Wir dokumentieren hier den Aufruf, bzw. das Grundsatzpapier der Initiative neuer kommunaler Wohnungsbau. Wir begrüßen diese Initiative, da ihr Kernanliegen unserem sehr nahe ist, nämlich die Frage nach der sozialen Wohnraumversorgung für Menschen mit geringem Einkommen, bzw. TransferleistungsbezieherInnen.
Die aktuelle Debatte um Neubau in Berlin, angestossen von Seiten der Immobilien- und Bauwirtschaft sowie dem Senat, hat gewichtige Schieflagen. Der geplante Neubau zielt nicht auf eine Entspannung des Wohnungsmarktes im untersten Segment, sondern eher auf ein Mittelschichtsklientel („Wir sind nicht gegen Neubau – wir sind nur nicht doof“); die Finanzierungsmodelle sind größtenteils nicht nachhaltig und fördern wieder einmal die Privatwirtschaft und sind haushaltpolitisch fragwürdig. Berlin braucht ein viel größeres Segment an kommunalen Wohnungen um überhaupt in der Zukunft Steuerungsmöglichkeiten auf dem sich immer mehr zuspitzenden Markt zu haben und um eine Versorgung der unteren Einkommenschichten zu gewährleisten. Die von uns vorgeschlagenen Modelle, wie zb. Rekommunalisierung zielen in die gleiche Richtung: die Ausweitung des Bestands der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften unter der demokratischen Kontrolle der BewohnerInnen.

P.s: Immer noch spannend und aktuell – unser Beitrag zur Neubaudebatte – ein Beispiel aus Salzburg.

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GRUNDSATZPAPIER DER INITIATIVE NEUER KOMMUNALER WOHNUNGSBAU

ÖFFENTLICH BAUEN STATT PRIVATE FÖRDERN

Die Versorgung mit angemessenem Wohnraum ist eine öffentliche Aufgabe, die im Land Berlin sogar Verfassungsrang hat. Öffentliche Aufgaben gehören in die öffentliche Hand, sie können und dürfen nicht den privaten Akteuren überlassen werden. Die zu ihrer Erfüllung eingesetzten Mittel dürfen nicht der privaten Bereicherung dienen, wie dies im deutschen Fördersystem des sozialen Wohnungsbaus leider über Jahrzehnte passiert ist. Ein zukünftiger öffentlich finanzierter Wohnungsbau muss aus diesen Fehlern lernen: 
Er muss Wohnraum schaffen, der dauerhaft und garantiert im öffentlichen Eigentum verbleibt. Dieser Herausforderung wird ein neuer kommunaler Wohnungsbau gerecht.

Die sich immer weiter verschärfende Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt ist zu einem Lieblingsthema der Politik in dieser Stadt geworden. Damit geben die politisch Verantwortlichen immerhin die Existenz eines Problems zu, das über Jahre ignoriert wurde: Es fehlen massenhaft bezahlbare Wohnungen! Die seit einigen Monaten der Öffentlichkeit präsentierten Lösungsvorschläge beschränken sich leider fast ausschließlich auf Absichtserklärungen oder sarkastisch anmutende Maßnahmen – wie das sogenannte Mietenbündnis des Senats mit seinen eigenen Wohnungsbauunternehmen – sowie auf Gesetze, die wie das Verbot der Zweckentfremdung aufgrund unzureichender personeller Ausstattung in den Bezirken kaum umgesetzt werden können. Mitunter besteht sogar die Gefahr, dass die im Fördersystem des alten sozialen Wohnungsbaus angelegten Fehler wiederholt werden, wie die kürzlich vom Senat auf den Weg gebrachte Neubauförderung befürchten lässt.

Dass Wohnungspolitik überhaupt zu einem Thema in dieser Stadt geworden ist, verdankt sich dem Druck von unten und den vielfältigen Protesten. Wohnungspolitik war in Berlin jahrelang faktisch abgeschafft. Im Jahr 2001 erfolgte die Einstellung der Neubauförderung im „sozialen Wohnungsbau“, im Jahr 2003 der Ausstieg aus der Anschlussförderung. Parallel, beginnend 1998 mit der Gehag, wurden weit über 100.000 städtische Wohnungen verkauft. Den traurigen Höhepunkt bildete 2004 der Verkauf der GSW zum Schleuderpreis. Diese Wohnungen waren mit Steuergeldern errichtet worden und hatten einen wichtigen Baustein zur Wohnraumversorgung dargestellt. Die öffentlichen Wohnungsbestände wurden aus haushaltspolitischen Gründen „verscherbelt“ und weil sie als nicht mehr notwendig für die Wohnungsversorgung galten. Den Berliner Haushalt haben die Verkäufe wenig überraschend nicht saniert. Die Wohnungen befinden sich heute im Eigentum international agierender Investmentfonds und bringen diesen Rendite. Seit der – und durch die – Privatisierungswelle hat sich die Wohnungsversorgung erheblich verschlechtert. Die Verkäufe in Verbindung mit dem Ausbleiben von wohnungspolitischen Eingriffen legten das Fundament der heutigen Probleme. Zur Verschärfung der Situation tragen die Verkleinerung der Haushaltsgrößen, der wachsende Wohnflächenkonsum sowie der verstärkte Zuzug nach Berlin bei. Diesen Entwicklungen könnte leichter begegnet werden, wenn das Land Berlin über mehr kommunale Wohnungen verfügen würde. Diese Steuerungsmöglichkeiten wurden jedoch mit den Verkäufen aus der (öffentlichen) Hand gegeben.


WOHNUNGSNOT

In den letzten Jahren hat sich die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt zusehends verschärft. In der Folge bildeten sich eine Reihe von Initiativen und Bündnissen gegen unsinnige und preistreibende Modernisierungen, gegen steigende Mieten, Gentrifizierung und Zwangsräumungen. Einzelne Mieterinnen und Mieter oder auch Hausgemeinschaften verteidigen in nervenaufreibenden Auseinandersetzungen ihre Wohnungen in dem Wissen, dass bei Verlust der Unterkunft nur enormes Glück zu einem adäquaten Ersatz führt. An der Notwendigkeit zur unmittelbaren Gegenwehr wird sich trotz der Bekundungen des Berliner Senats auf absehbare Zeit wenig ändern. Viele von uns sind seit Jahren wohnungs- und mietenpolitisch aktiv und kennen die Situation aus eigener Anschauung und Erfahrung.

Angesichts der aktuellen Planungen des Senats, erneut einen Wohnungsbau fördern zu wollen, der keinerlei soziale Nachhaltigkeit hervorbringen wird, halten wir es für unerlässlich, auch in der Debatte um den Wohnungsneubau eigene Positionen zu formulieren.


WARUM NEUBAU?

In einer marktwirtschaftlichen Wohnungsversorgung besteht ein strukturelles Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bei niedrigpreisigen Wohnungen. Als Ursachen lassen sich mehrere Konflikte benennen: Erstens ist Wohnen ein Grundbedürfnis. Somit zählen Wohnungen zu nicht substituierbaren Gütern – es ist kein Konsumverzicht möglich. Andererseits ist Wohnraum eine Kapitalanlage und wird marktwirtschaftlich als Ware gehandelt. Zweitens bleibt gegenüber steigender Nachfrage nach Wohnraum der Boden unvermehrbar. Drittens sind Wohnungen immobil, Menschen hingegen mobil. Viertens ist die Produktion von Wohnungen träge und kapitalintensiv. Dass sich auf einem Wohnungsmarkt ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage einstellt, ist auszuschließen.

Der Markt regelt die Versorgung über Kaufkraft und Preis, im Fall der Wohnung also über Haushaltseinkommen und Miete. Der Mietpreis ist abhängig von der Qualität der Wohnung und von der Nachfrage. Bei hoher Nachfrage sind mit niedrigen Einkommen immer nur schlechte Wohnungen zu bekommen. Wenn Mindeststandards auch für niedrige Einkommen gelten sollen, sind Interventionen der öffentlichen Hand unumgänglich.

Die spezielle Situation in Berlin mit der stetig wachsenden Bevölkerung und der Zunahme der Single-Haushalte erfordert Neubaumaßnahmen in besonderem Maß. Allein von 2009–2013 hat die Einwohnerzahl in Berlin um über 120.000 zugenommen. Bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von deutlich weniger als zwei Personen hätten in diesem Zeitraum weit mehr als 60.000 neue Wohnungen gebaut werden müssen.

Tatsächlich sind aber nur ca. 1⁄3 der Wohnungen in diesen Jahren fertiggestellt worden. Betrachten wir die Zahl der für die Geringverdienenden bezahlbaren Neubauten (wofür es kaum Statistiken gibt), kommen wir in einen Bereich, der faktisch nicht erwähnenswert ist. Der Anfang der 2000er Jahre vorhandene Leerstand war spätestens am Ende des Jahrzehnts „aufgebraucht“.

Aber auch der Erhalt des Bestands braucht Neubau. Wohnhäuser und Wohnungen bestehen nicht ewig. Sie werden unbewohnbar, müssen abgerissen werden oder werden umgewidmet. Um den Bestand an 1,9 Millionen Wohnungen in Berlin zu erhalten, bedarf es einer Neubauquote von mindestens 0,7 Prozent, also ca. 14.000 Wohnungen pro Jahr. Wer sich angesichts dieser Zahlen der Notwendigkeit des Neubaus verschließt, nimmt weiter steigende Mietpreise billigend in Kauf, da die landesrechtlichen Instrumentarien zur Mietpreisregulierung weitgehend ausgeschöpft sind.


SOZIALER WOHNUNGSBAU RELOADED?

Der soziale Wohnungsbau der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik beruhte hauptsächlich auf der Förderung von Wohnungsneubauten unabhängig von der Rechtsform der Eigentümer. Dies hat sich als wenig effektiv und in weiten Teilen als eine riesige Geldverteilungsmaschine erwiesen, bei der die privaten Eigentümer die mit Abstand größten Profiteure waren und nicht die berechtigten Mieter und Mieterinnen. Dieses System ist eine „Wohnungsbauförderung mit sozialer Zwischennutzung“.

Gerade die Berliner Form der Förderung durch Aufwandszuschüsse und Aufwandsdarlehen hat zu vollkommen inakzeptablen Ergebnissen geführt. Nach der Beendigung der Förderperiode sind die Mieten drastisch gestiegen, obwohl in der Zwischenzeit eine Fördersumme an die privaten Eigentümer geflossen ist, die den Wert der Objekte teilweise um ein Mehrfaches überstieg. Dennoch erscheint diese Methode der Wohnungsbauförderung im Denken der politischen Parteien als einziges Heilmittel gegen den Wohnungsmangel. Sie hat sich in Deutschland seit ihrer Einführung durch die erste Adenauer-Regierung so gefestigt, dass sie zu einem Brauchtum geworden ist, dessen Sinn nicht mehr hinterfragt wird.

Auch der Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum hat das schon verstanden: „Es hat mir bisher niemand überzeugend erklären können, wie man private Bauherren fördern kann, ohne Mitnahmeeffekte zu riskieren“ (Berliner Zeitung, 28. 8. 2013). Wir können Herrn Nußbaum versichern, dass ihm dies auch weiterhin niemand wird erklären können.

Aus diesen Erfahrungen heraus plädieren wir für einen „neuen kommunalen Wohnungsbau“, der durch die öffentliche Hand betrieben wird, aus Steuermitteln finanziert ist und öffentliches Eigentum schafft.

WAS UND FÜR WEN SOLL GEBAUT WERDEN?

Der soziale Wohnungsbau war in den letzten Jahrzehnten fast immer Massenwohnungsbau im Rahmen von Großsiedlungen. Dies ist kein Naturgesetz und entspricht auch nicht den aktuellen Bedürfnissen. Wir wollen architektonisch ansprechende Wohnungen für die verschiedenen Lebensentwürfe einer Großstadt: für Singles, für Familien jeglicher Art, für Wohngemeinschaften, für Ältere und Jüngere, in kleinen und großen Häusern, innerhalb und außerhalb des S-Bahn-Rings.

Alle Grundstücke im Besitz des Landes Berlin und der Bezirke, die sich für Wohnungsbau eignen, müssen hierfür in Betracht gezogen werden. Das bedeutet selbstverständlich, dass diese Grundstücke nicht verkauft werden dürfen.

Wir wollen für die Menschen in dieser Stadt eine auf der Grundlage der freien Entscheidung entstehende Bevölkerungsstruktur. Die Mieten im kommunalen Bestand müssen also für die Beziehenden von geringen und mittleren Einkommen bezahlbar sein.

Während der aktuelle Wohnungsmarkt in hohem Maß desintegrierend wirkt, gewachsene soziale Strukturen zerstört und lediglich einer privilegierten Schicht die freie Wahl der Wohnung und des Lebensumfeldes gewährt, zielt ein marktferner, vollfinanzierter Wohnungsbau in Landeseigentum auf einen integrierenden Wohnungsmarkt. Ein solcher entkoppelt die Zwangsläufigkeit, in der die Position auf dem Arbeitsmarkt darüber entscheidet, wo und zu welchen Bedingungen gewohnt wird.

WER SOLL BAUEN?

Das Land Berlin ist im Besitz von sechs Wohnungsbaugesellschaften (WBG). Die erste Frage hier muss lauten: Warum sechs? Zwar gibt es historische Erklärungen für die Entstehung der verschiedenen WBG. Alle Gesellschaften erfüllen die gleichen Aufgaben, sind im Besitz des Landes und operieren in der gleichen Stadt. Berlin hat auch nur eine Polizeibehörde, nur einen Wasserbetrieb usw.

Gleichzeitig haben diese WBG eine privatrechtlichen Form und sind als Kapitalgesellschaften in Form 
einer AG oder GmbH organisiert. Das Ziel einer Kapitalgesellschaft ist das Erwirtschaften von Profit. Durch diese Rechtsform werden die WBG erstens der unmittelbaren Kontrolle des Parlaments entzogen und zweitens auf Gewinnmaximierung getrimmt, agieren also in gleicher Weise wie private Immobilienunternehmen. Darüber hinaus konnten und können die Bestände dieser Gesellschaften teilweise oder auch als Ganzes wie die Gehag (1998) oder die GSW (2004) privatisiert werden. Diese beiden Gesellschaften finden sich heute unter dem Dach der börsennotierten „Deutsche Wohnen“ wieder, die für 2014 einen Gewinn von 210 Millionen Euro anstrebt.

Der Sinn einer städtischen WBG besteht nach unserem Verständnis aber nicht in der Profiterwirtschaftung, sondern in der Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum für die Bevölkerung als Teil der Daseinsvorsorge. Der erste Schritt für eine neue kommunale Wohnungspolitik wäre eine Zusammenlegung dieser Gesellschaften und damit einhergehend die Änderung der Rechtsform sowie die Erteilung und Festschreibung eines eindeutig politischen und sozialen Auftrags.

Wir plädieren für die Form eines Eigenbetriebs oder einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR). Bei beiden Formen muss die politische Kontrolle durch das Parlament und durch die Mieterinnen und Mieter in Form von entsprechenden Vertretungen in den Aufsichtsgremien gewährleistet sein.


FÜR EINEN NEUEN KOMMUNALEN WOHNNUNGSBAU

Es ist nötig, einen „neuen kommunalen Wohnungsbau“ zu entwickeln, der einen Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und sozialen Infrastruktur darstellt. Als solche dienen die Wohnungen nicht den Renditeerwartungen von privaten Investoren, sondern sind der sozialen Wohnraumversorgung verpflichtet und für alle bezahlbar. Das Thema „Neubau“ wird zurzeit nur vom Senat sowie den privaten Wohnungsunternehmen und ihren Verbänden besetzt.

Wir wollen uns mit diesem Papier in die wohnungspolitische Debatte der Stadtgesellschaft einmischen und die Forderung nach einem bezahlbaren öffentlichen Wohnungsbau nachhaltig stärken.

Wir laden alle Interessierten ein, mit uns gemeinsam für diesen Kurswechsel in der Stadtpolitik zu streiten.

Link zur Initiative INKW