Redebeitrag von Kotti & Co zur Demonstration am 4.11.12 – „Das Problem heißt Rassismus“
Auf der Demonstration zum Jahrestag des Bekannterden der Morde des NSU „Das Problem heisst Rassismus“ haben wir efolgende Rede gehalten:
Als vor einem Jahr bekannt wurde, dass zehn Jahre lang eine Nazi-Terror-Gruppe ungehindert morden konnte, traf das hier in Kreuzberg nicht auf Verwunderung, – aber auf Trauer und Wut.
Und diese Wut ist alt. Spätestens seit den Morden von Mölln und Solingen und den Pogromen in Rostock ist allen hier bewusst, dass es deutsche Nazis gibt, die bereit sind zu töten. Es ist lange bekannt, dass deutsche Behörden sich schwer damit tun, einen rechtsradikalen Hintergrund bei Gewaltanschlägen auf Menschen zu sehen.
Aber was seit einem Jahr fast täglich die Wut vergrößert, ist die Systematik, mit der weggesehen wurde und dass bis heute kaum über Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem geredet wird.
Unsere Brüder wurden nicht nur ermordet, sondern außerdem verdächtigt. Sie sollen Schutzgelderpresser oder irgendwie anders kriminell gewesen sein. Und diese Verdächtigungen sagen fast noch mehr über den Rassismus in diesem Land aus, als die Morde dieser Nazibande.
Es schien jedem Journalisten und jedem Polizeibeamten einleuchtender, den eigenen rassistischen Hirngespinsten als Erklärung für die Gewalttaten zu glauben, als das Naheliegende zu denken. Der eigene Rassismus, das Bedürfnis, Kriminalität ethnisch zu erklären, stand einer angemessenen Verfolgung und damit einer Verhinderung weiterer Morde im Wege!
Dass deutsche Beamte nicht in der Lage sind, die Existenz von mörderischer Gewaltbereitschaft von Rassisten zu denken, erfahren wir hier am Kotti täglich. Jedes Mal, wenn der oder die Jobcenterbeamte zu uns sagt, dass wir doch nach Mahrzahn umziehen sollen, weil unsere Mieten zu teuer sind, zeugt das von struktureller Ignoranz und interkultureller Inkompetenz.
Sie haben keine Ahnung von den Sorgen derjenigen, für die Rassismus tödlich sein kann.
Wenn die Berliner Landesregierung von SPD und CDU jetzt hier mithilfe der Jobcenter unsere Verdrängung stattfinden lässt, ignoriert sie, dass es viele Gegenden außerhalb von Kreuzberg gibt, in denen es lebensgefährlich ist, mit oder ohne Kopftuch auf die Strasse zu gehen. Wir reden hier von No-Go-Areas – alle wissen davon, die eine Haut- oder Haarfarbe, oder eine Kopfbedeckung haben, die Nazis und anderen normalen Rassisten nicht passt.
Diese Ignoranz ist auch Rassismus, weil hier die Perspektive und Erfahrung derjenigen Bürgerinnen und Bürger ausgeblendet wird, denen diese Lebensgefahr droht und die sich in Kreuzberg immerhin ein halbwegs Nazi-freies Zuhause aufgebaut haben.
Viele haben es schon probiert, – sind nach Reinickendorf oder Rudow gezogen und wieder zurückgekehrt, weil die Deutschen dort häufig rassistische Sprüche machen oder Schlimmeres. Stadtentwicklungssenator Müller sagt dazu, dass er soziale Härten in Kauf nehme. Das ist die Ignoranz der rassistischen Wirklichkeit, von der wir reden.
Seine Verwaltung weist uns an den Stadtrand und interessiert sich dabei nicht für die dortigen Problem-Viertel und die nicht in die Einwanderungsgesellschaft integrierten Deutschen.
Sich diesen Problemen nicht zu stellen und weiterhin zu versuchen, sie zu ignorieren, ist unserer Ansicht nach Ausdruck von strukturellem Rassismus.
Wenn gegen die Verdrängung nichts unternommen wird, werden mehr Kämpfe auf die Strasse und an den Stadtrand verlagert. In den Schulen würden die Kreuzberger Kinder sich prügeln müssen, die Erwachsenen Angst haben, auf die Strasse zu gehen.
Und was passiert, wenn eine Moschee in bestimmten Rand-Stadtteilen errichtet werden soll, wissen wir: der Mob ist schnell mobilisiert – und Stadtteil-Bürgermeister zeigen Verständnis für die so genannten Ängste ihrer Landsleute. Ihrer Christlich-weissen wohlgemerkt.
Die Verstrickungen der Behörden in die NSU-Morde sind, wie gesagt, keine Überraschung für uns. Rassismus ist Alltag.
Und es ist Alltag, dass man in Deutschland nicht über Rassismus reden kann.
Rassismus – das sind im Zweifelsfall nur die Nazis. Rassismus – das sind immer die anderen.
Zu viele Biodeutsche sind offensichtlich noch nicht in der Einwanderungsgesellschaft angekommen und versuchen in ihrer Parallelwelt zu bleiben.
Dieses gilt nicht nur für die Behörden und offensichtliche Rassisten. Dieses gilt auch für einen großen Teil der Medien und der Politik, – und es gilt auch für einen großen Teil der deutschen Linken.
Hier gilt es, viel nachzuholen. Und es stimmt uns bitter, dass man nur, wenn es wieder brennt, bereit ist, darüber zu reden.
Wir wollen keine Identitätspolitik. Wir wollen nicht unterscheiden zwischen Deutsch und Nichtdeutsch, zwischen Moslem und Nichtgläubig, zwischen Mehrheit und Minderheit.
Aber wir fordern eine Anerkennung des gesellschaftlichen Problems Rassismus und eine breite Auseinandersetzung damit – auch dann, wenn die Morde des NSU wieder aus den Medien verschwunden sind.
Wir kämpfen heute deshalb darum, hier bleiben zu können, – in Kreuzberg, in der Mitte der Stadt – und in der Mitte der Gesellschaft. Wir werden uns nicht noch einmal an den Rand drängen lassen.
Die Geschichte der Migration und die Geschichte der antirassistischen Kämpfe gehören in die Mitte der Gesellschaft.
Unsere Solidarität gilt den Opfern rassistischer Gewalt, den Flüchtlingen die hier um ihre Rechte kämpfen und unseren Nachbarn die von Verdrängung bedroht sind.
Kommt auf unsere Demonstration nächsten Samstag am Kotti.
Alles Liebe und Kraft!
Kotti & Co