… tausende Sozialwohnungen verloren (RBB)

Eigentlich nichts neues: wir weisen schon seit geraumer Zeit auf dieses Problem hin. Nun hat der RBB das Dilemma in einem Beitrag aufgezeigt. Diesen Beitrag dokumentieren wir hier an dieser Stelle. Der Original Beitrag kann hier eingesehen werden (klick)

Berlin gehen vorzeitig tausende Sozialwohnungen verloren

Den Bau von rund 10.000 Sozialwohnungen will Berlin bis 2018 fördern. Gleichzeitig sind in den vergangenen fünf Jahren bis zu 9.000 geförderte Unterkünfte verloren gegangen. Schuld ist ein Gesetz, das Vermietern beim Verkauf den Ausstieg aus der Sozialbindung ermöglicht. Mietinitiativen schlagen Alarm – tausende weitere Wohnungen sind bedroht. Von Jana Göbel

Überall neue Klingelschilder an den Haustüren. Der Fanny-Hensel-Kiez nahe dem Potsdamer Platz ist alter Sozialwohnungsbau aus den 1980er Jahren. Das Land Berlin hätte noch für Jahrzehnte das Recht, hier bedürftige Mieter unterzubringen. Doch ein Teil der Häuser wurde verkauft –  und damit verloren sie schlagartig ihre Sozialbindung. Kurz darauf stiegen die Mieten und viele Bewohner mussten in den vergangenen Jahren den Kiez verlassen.

Vor einem der Häuser steht eine ältere Frau. Sieben Jahre lang habe sie hier gewohnt, wie eine Familie sei das hier für sie gewesen. Als die Miete nach Wegfall der Sozialbindung auf 800 Euro im Monat stieg, konnte sie sich die Wohnung nicht mehr leisten. Und das, obwohl sie und ihr Mann ein Leben lang gearbeitet hätten. Jetzt komme sie manchmal hierher, um ihre Freundin zu besuchen.

Auch Sebastian Jung vom Verein Mieterstadt Berlin wohnt hier im Kiez. Die Hälfte seiner Nachbarn sei bereits fortgezogen. Er findet es ungerecht, dass ausgerechnet die Armen, die durch den sozialen Wohnungsbau geschützt werden sollten, nun fortgetrieben würden. Jung ärgert sich, dass der Senat auf der einen Seite viel Geld für neue Wohnungen ausgebe und gleichzeitig ohne Not Sozialwohnungen verschenke.

Ausstieg aus der Sozialbindung nach Eigentümerwechsel

Die Ursache dafür ist Paragraf 5 des 2011 beschlossenen Berliner Wohnraumgesetzes. Darin steht, dass bei einem Eigentümerwechsel der Sozialstatus schlagartig endet. Das bedeutet, dass Millionen ausgegebener Fördergelder über Nacht weg waren, Belegungsrechte wurden verschenkt, nicht nur in Kreuzberg, sondern auch in Mitte, Wedding und Prenzlauer Berg. Zunächst hieß es, dass aufgrund der Regelung rund 7.000 Sozialwohnungen verloren gegangen sind, neuere Schätzungen gehen von bis zu 9.000 aus. Weitere 20.000 könnten in den kommenden Jahren folgen.

Mehr als 200.000 Sozialwohnungen gab es einst in Berlin, inzwischen sind es nur noch knapp 120.000. In den 1990er Jahren, als die Wohnungssituation in der Hauptstadt noch entspannt war und der Schuldenberg hoch, stoppte Berlin unter dem rot-roten Senat den sozialen Wohnungsbau. Aber nicht nur das: Auch bei bereits begonnenen Vorhaben wurde die Förderung gedeckelt. Diese Vollbremsung bekommen sozial schwache Berliner erst jetzt richtig zu spüren – die Verträge mit den Eigentümern enden regulär erst nach Jahrzehnten. Die neuesten vorliegenden Schätzungen von Experten aus dem Jahr 2013 gehen davon aus, dass in der Stadt mittlerweile 120.000 Sozialwohnungen fehlen. Tatsächlich dürften es inzwischen noch mehr sein.

„Uns rennt die Zeit davon“

Dass Sozialbindungen regulär auslaufen, ist nicht zu ändern. Dass Eigentümer nach dem Wegfall der Anschlussförderung einfach aussteigen können, ist eine Berliner Eigenheit. Die Grünen-Abgeordnete Katrin Schmidberger kritisiert diese Regelung und fordert eine Korrektur, solange es die 20.000 Wohnungen noch gibt. „Uns rennt die Zeit davon“, sagt sie. „Die Korrektur kostet uns nichts.“ Das Problem sei seit Jahren bekannt. Doch stattdessen sehe man weiter zu, wie tausende Wohnungen vorzeitig aus der Sozialbindung rutschen.

Schon 2013 Jahren hatte ein Gutachten des Senates, das dem rbb vorliegt, vor den Folgen des Paragraf 5 gewarnt. Es handele sich um eine Bindungsbefreiung ohne Gegenleistung der Vermieter, heißt es darin. Übersetzt: Hier werden Steuergelder verschenkt.

Berlin setzt auf Wohnungsneubau

Jochen Lang ist Abteilungsleiter für Wohnungswesen bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Uns geht es um jede Sozialwohnung“, sagt er dem rbb in Bezug auf die vorzeitige Entlassung tausender Wohnungen aus der Belegungsbindung. Gleichzeitig relativiert er jedoch: „Es betrifft beispielsweise in diesem Jahr rund 5.000 Wohnungen. Das ist zwar ein wesentlicher Anteil, aber im Vergleich zur Gesamtzahl von rund 120.000 Sozialwohnungen überschaubar.“

Zum Erhalt der gefährdeten Bestände befragt, verweist Jochen Lang auf die Arbeit der Expertenkommission „Sozialer Wohnungsbau“. Das Land Berlin könne jedes Landesgesetz ändern, erklärt er, aber man müsse auch die möglichen Risiken und Nebenwirkungen bedenken. „Es ist niemandem geholfen, wenn man jetzt einen Schnellschuss macht, der kurzfristig viele begeistert, aber vor Gericht scheitert. Deshalb möchten wir den Expertenrat abwarten.“

Berlin will in den kommenden drei Jahren außerdem fast 10.000 Sozialwohnungen neu bauen. Dabei setze man auf die städtischen Wohnungsbaugesellschaften ebenso wie auf private Investoren, für die man die Förderkonditionen deutlich verbessert habe, so Lang.

Das sehen offenbar aber nicht alle Anleger so: Erst in dieser Woche hat der Investor Artur Süßkind, der die Kreuzberger Cuvry-Brache bebauen wollte, seine Pläne für die „Cuvryhöfe“ zurückgezogen, weil der Senat neben dem geplanten „hochwertigen“ Wohnraum im Rahmen des „Berliner Modells“ auch einen Anteil von 25 Prozent Sozialwohnungen gefordert hat. Der Unternehmer Rainer Löhnitz, der vor 13 Jahren das SEZ an der Landsberger Allee erworben hat, bereitet einem Bericht der „Berliner Zeitung“ zufolge sogar eine Klage wegen „Nötigung“ gegen den Senat vor, weil auch er die geforderte Sozialquote zu hoch findet.

Experten beklagen „absurde“ Wohnungsbaupolitik

In der kommenden Woche berät die Expertenkommission „Sozialer Wohnungsbau“ zum vierten Mal. Neben den hohen Mieten bei den Berliner Sozialwohnungen geht es auch um eine Lösung für die 20.000 Sozialwohnungen, die aufgrund von Paragraf 5 vorzeitig aus der Bindung zu fallen drohen. Politiker, Mietaktivisten und Forscher suchen nach einem juristisch tragbaren Ausweg, der den betroffenen Mietern schnell hilft. Auch Johannes Ludwig, Professor an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften, arbeitet in der Expertengruppe. Er beschreibt die Berliner Situation als ein Desaster. „Berlin hat von allen Bundesländern das meiste Geld in den sozialen Wohnungsbau gesteckt und nun steht man vor der Tatsache, dass davon vielleicht bald nichts mehr da ist. Das ist absurd.“ Bis Juni soll die Expertengruppe Lösungen vorschlagen, Ludwig zweifelt noch daran, ob das zu schaffen ist.

Die ältere Dame, die den Fanny-Hensel-Kiez verlassen musste, ist mit ihrem Mann schweren Herzens an den Britzer Damm gezogen. Doch auch dort sei die Miete nun gestiegen – auf 830 Euro. Nun weiß sie nicht mehr, was sie noch tun kann.

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