An Frau Senatorin Katrin Lompscher, Herrn Staatssekretär Sebastian Scheel, die Abgeordneten Iris Spranger, Katrin Schmidtberger, Gaby Gottwald, Michail Nelken
In Kopie an die Fraktionsvorsitzenden der GRÜNEN, DIE LINKE und SPD, Antje Kapek und Silke Gebel, Carola Blum und Harald Wolf, Raed Saleh
Berlin, den 4.8.2019
Sehr geehrte Senatorin Lompscher, sehr geehrter Staatssekretär Scheel, sehr geehrte Abgeordnete Spranger, Nelken, Schmidberger, Gottwald,
hiermit richten wir uns in einem Offenen Brief an Sie mit dem dringenden Anliegen, endlich einen Mietendeckel auch für die Sozialwohnungen einzuführen. Sie sind u.a. mit einem Koalitionsvertrag angetreten, in dem Sie sich vorgenommen haben, die Sozialbindungen zu sichern und die Sozialmieten zu senken.
Wir fordern dieses Versprechen nun ein.
Wo bleibt der Mietendeckel für Sozialwohnungen?
Mit überraschender Einigkeit wurde von den rot-rot-grünen Regierungsfraktionen ein so genannter Mietendeckel für ganz Berlin beschlossen. Das begrüßen wir sehr und freuen uns für die Mieter*innen Berlins, denen es helfen wird. Wir wissen, ohne heftigen außerparlamentarischen Druck, aktuell durch die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, bewegt sich relativ wenig in Sachen sozialer Mietenpolitik. Davon sollte auch der aktuellen Wirbel rund um den Mietendeckel, die Milieuschutzgebiete und das Vorkaufsrecht nicht ablenken.
Der Deckel passt nicht auf jeden Topf
Gilt der Mietendeckel für ganz Berlin? Leider Nein. Die Berliner Sozialwohnungen sind vom Mietendeckel ausgenommen. Es gibt noch 100.000 davon, die darin wohnende rund viertel Million Mieter*innen haben noch immer keinen nachhaltigen Schutz bekommen. Wir fordern hiermit von Ihnen, dass Sie endlich einen nachhaltigen Deckel für die Sozialmieten erarbeiten. Ihr Koalitionsvertrag bietet hierzu den nötigen Rahmen (s.u.)
Was ist im Sozialen Wohnungsbau „geregelt“?
In Pressebeiträgen zum Mietendeckel wurde die Ausnahme der Sozialwohnungen als „anders geregelt“ dargestellt. Die „Regelung“ ist jedoch nur ein vorrübergehender Verzicht („Mietenkonzept“) auf Mieterhöhungen seitens des Landes Berlin. Die Mieterhöhungen werden von den Vermieter*innen laufend in den Fällen nachgeholt, wo die Mietenkonzepte nicht mehr greifen.
Diese Damoklesschwerter schweben über den Sozialmieter*innen:
– die Mieterhöhung nach Auslaufen des temporären Mietenkonzeptes,
– die vorzeitige Ablösung aus den Sozialbindungen, wodurch in den letzten paar Jahren 10.000de Wohnungen aus den Bindungen gefallen sind
– die jetzt schon zu hohen Sozialmieten durch verschiedene Zinsbegünstigungen der Vermieter und überhöhte Zinsen der Darlehen an die IBB
Alles das hat sich die Koalition in ihrem 2016 beschlossenen Koalitionsvertrag vorgenommen, zu regeln: (AUSZUG r2g KOALITIONSVERTRAG S.23):
Mieten im alten sozialen Wohnungsbau senken
„Alle Wohnungen des alten sozialen Wohnungsbaus sind ein wichtiger belegungsgebundener Bestand und müssen stärker für die Wohnraumversorgung von Haushalten mit geringen Einkommen genutzt werden. Die Koalition wird ab dem Jahr 2018 durch eine umfassende Reform gerechte Sozialmieten und Belegungsbindungen sichern. Damit sollen die Mieten gesenkt und nach dem Einkommen der Mieter*innen gestaffelt werden. Darüber hinaus sollen die Eigentümer in die Finanzierung angemessen einbezogen und Subventionstatbestände reduziert werden. Innerhalb der ersten 100 Tage wird die Koalition entscheiden, wie für Sozialwohnungen mit Anschlussförderung eine Überführung der Mieten in ein System der sozialen Richtsatzmiete mit einkommensabhängigen Mietstufen vorgenommen wird. Zudem wird sie entscheiden, wie auf Grundlage einer aktuellen Datenbasis und Wirtschaftlichkeitsberechnung die oben genannten Ziele für die Sozialwohnungen ohne Anschlussförderung erreicht werden können. Die Koalition bekräftigt, dass es keine neue Objektförderung geben wird. In diesen Entscheidungsprozess wird externe Expertise einbezogen. Flankierend wird ein Härtefallfonds eingerichtet, um Eigentümer mit mietkappungsbedingter wirtschaftlicher Unterdeckung zu unterstützen. Die in der Vergangenheit stark reduzierten Aktivitäten der Investitionsbank Berlin (IBB) bei der Betreuung dieses Sozialwohnungsbestandes werden kurzfristig auf das erforderliche Maß angehoben. Im belegungsgebundenen Bestand werden folgende Sofortmaßnahmen umgesetzt: Die jährliche Mieterhöhung zum 1. April wird bis zu einer Neuregelung ausgesetzt. Die Anreize zur vorzeitigen Rückzahlung der Aufwendungsdarlehen werden beseitigt indem der Zinssatz auf 0,5% reduziert und die rechtlich zulässige Miete auf bis zu 5,75 €/m²/monatlich gesenkt wird. Die Zinsen der Erbbaurechtsgrundstücke werden mit dem gleichen Ziel reduziert. In der Härtefallregelung wird von Nettokalt- auf Bruttowarmmiete umgestellt. Die Koalition wird zügig ein Vorschaltgesetz mit folgenden Eckpunkten beschließen: Der § 5 Wohnraumgesetz Berlin wird aufgehoben. Der „Einfrierungsgrundsatz“ in § 4 und § 4a II. Berechnungsverordnung wird präzisiert, damit bei Verkäufen, die die ehemaligen Gesamtkosten unterschreiten, nur die geringeren Kosten in der Wirtschaftlichkeitsberechnung berücksichtigt werden. Der § 4 Abs. 8 Neubaumietenverordnung wird korrigiert, damit rückwirkende Mietanhebungen im Sozialen Wohnungsbau unterbleiben. Die Koalition will den Bestand der Sozialwohnungen zur Wohnraumversorgung bedürftiger Haushalte erhalten. Deshalb sollen sich die städtischen Wohnungsbaugesellschaften bei den geplanten Zukäufen verstärkt um den Erwerb von Sozialwohnungen bemühen, insbesondere in Stadtteilen mit einem Mangel an preiswertem Wohnraum. Die Koalition unterstützt stadtweit Modellprojekte, wie am Falkenhagener Feld und am Kottbusser Tor angedacht, für selbstverwaltete Mietergenossenschaften. Außerdem sollen Genossenschaftsgründungen aus der Bewohnerschaft sowie Ankäufe von privaten Sozialwohnungen durch Bewohnergenossenschaften gefördert und unterstützt werden. Die Koalition wird eine Anlaufstelle für Mieter/innen von Sozialwohnungen einrichten, wo Miethöhen und Bescheide überprüft werden können.“
Warum ist seit 2 Jahren r2g nichts passiert?
Seit anderthalb Jahren verhindern in einem langen Prozess der Verschleppung vor allem Teile der SPD eine Einigung der drei Regierungsfraktionen zur Rettung der Sozialwohnungen. Die bisher vorgeschlagenen Lösungen würden die Mieten senken und das finden die Wohnungsexperten der SPD „sozial ungerecht“. Diese Neudefinition sozialer Gerechtigkeit kommt von den ehemaligen „Wohnungsexperten“, die sich u.a. in einem Kreis mit dem anmaßenden Titel „Soziale Stadt“ treffen. Da sitzen vor allem die ausgedienten Stadtentwicklungsfachleute, die die heutige Wohnungskrise mit zu verantworten haben.
Aber auch die Fachleute der Linken Fraktion haben nicht viel versucht, um die im Koalitionsvertrag festgehaltene Reform des Sozialen Wohnungsbaus zu verwirklichen und haben nach kurzer Beschäftigung das Thema Sozialmieten wieder in die Schublade gelegt.
Wir protestieren aufs Heftigste gegen eine Politik der weiteren sozialen Ausgrenzung der ohnehin schon Ausgegrenzten.
Sozialmieter*innen fordern ihr Recht ein, in ihren Wohnungen, Kiezen und Häusern zu bleiben. Wer findet, dass sinkende Mieten sozial ungerecht sind, hat politisch jede Würde verloren. Wer die Mieter*innen bisher nicht in ihren Kämpfen gegen Zwangsräumungen, Mietsteigerungen und Modernisierungsankündigungen unterstützt hat, wer ganz selbstverständlich die Sozialmieter*innen hinten runterfallen lässt, wen sein GSW-Rekommunalisierungsversprechen heute nicht mehr interessiert, muss nicht so tun, als sei schon alles getan gegen die Verdrängung in unserer Stadt.
Der größte Deckel in Sachen Mietenpolitik kommt von uns Mieter*innen-Initiativen, insbesondere der Druck, der von „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ ausgeht. Der jetzige Mieten-„Deckel“ ist noch viel zu klein und lässt ausgerechnet die Sozialmieter*innen ungeschützt.
Wir fordern deshalb von Ihnen mindestens die Einhaltung Ihrer Versprechen aus dem Koalitionsvertrag:
> eine unabhängige juristische Anlaufstelle für Sozialmieter*innen zur Beratung. Im Verordnungsdickicht des Sozialen Wohnungsbaus kennen sich Mietrechtsanwält*innen oft nicht aus und so werden immer wieder unrechtmäßige Mieterhöhungen ermöglicht.
> die Reduzierung des Zinssatzes der Darlehen an das Land Berlin.
> eine Mietsenkung auf durchschnittlich die versprochenen 5,75€, für unterste Einkommen auf 4,-€ pro Quadratmeter, denn unsere Löhne und die KdU-Sätze haben sich seit Jahren nicht angemessen erhöht.
> eine Regelung gegen den vorzeitigen Verlust der Bindungen.
> die Einbeziehung der Mieter*innen-Initiativen in die Konzeptionierung der Reform – bevor die Verwaltung wieder 1000 Hintertürchen für Mieterhöhungen schafft.
Hier sehen wir konkrete Mietsenkungsmöglichkeiten:
> Reduzierung des Mietausfallwagnis von 2% auf 1%
> Senkung der Eigenkapitalverzinsung von derzeit bis zu 6,5% auf zeitgemäße Zinssätze
> Reduzierung teurer alte Fremdkapitalzinsen durch Umschuldung
> Tilgung der Fremdmittel mit maximal 2% im Jahr
> Umstellung der pauschalen Abschreibungsmöglichkeiten auf realen Tilgungsaufwand
Dabei sind die folgenden Reformkerne zu beachten:
- Versorgungsgebot (möglichst lange Bindungsfristen sichern)
- Verschlechterungsverbot (keine Mieter*in soll höhere Miete zahlen als ohne Reform)
- Einkommensorientierung der Mieten (Kappung/Zuschuss bei 30% des monatlichen Haushaltsnettoeinkommens der Bruttowarmmiete)
- Kostendeckungsprinzip (Vermieter*innen bekommen nur tatsächliche Kosten angerechnet)
- Sicherungsgebot (Erhalt von für die Mieter*innen günstigen Fördervereinbarungen)
- Transparenzgebot (Mieter*innen müssen konkrete Regelungen gerichtlich einklagen können)
Spätestens seit 2011 ist die Misere der Sozialwohnungen bekannt. Berlin verliert im Sozialen Wohnungsbau nach wie vor mehr bezahlbaren Wohnraum als durch den gesamten Neubau kompensiert wird.
Es ist also Zeit zu handeln.
Mit diesem Brief fordern wir Sie zum Handeln auf und fragen
- Wann werden Sie die Versprechen umsetzen, die Sie im Koalitionsvertrag gemacht haben?
- Wie schützen Sie die Sozialmieter*innen nachhaltig vor Wohnungsverlust, Kiezverlust und Armut durch Mieterhöhungen?
Wir fordern Sie auf, alles Notwendige zu tun, um die Mieten im Sozialen Wohnungsbau zu senken und die 250.000 Sozialmieter*innen gegen Verdrängung zu schützen. Das Wissen hierfür ist vorhanden.
Wir erwarten eine zeitnahe Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Kotti & Co / August 2019
[…] starke Mietsteigerungen das Leben der ärmsten Berliner*innen zur Hölle gemacht haben. Deshalb fordern wir einen Mietendeckel auch für den sozialen […]
[…] starke Mietsteigerungen das Leben der ärmsten Berliner*innen zur Hölle gemacht haben. Deshalb fordern wir einen Mietendeckel auch für den sozialen […]