Wir wollen alles

Für das Festival „Berlin bleibt / Stadt, Kunst, Zukunft“ im HAU / Hebbel am Ufer haben wir gemeinsam mit unseren Freund*innen vom Mieterrat NKZ  einen kleinen Text in Sachen Re-kommunalisierung verfasst. Dieses ist die Langfassung. Im Festivalbegleitheft ist neben der Kurzfassung noch vieles weiteres spannendes zu lesen  > schaut mal rein (klick = PDF)

Infos zum Festival hier (klick)

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Wir wollen alles

Rekommunalisierung der Gemeingüter in Berlin

Die Forderung nach Rekommunalisierung der GSW ist bei Kotti & Co schon 2012 entstanden. Sie entsprang aus der Erfahrung der katastrophalen Bedingungen der 2004 privatisierten Sozialwohnungen. Besonders die fehlende Gestaltungsmacht der Politik, das Börsenunternehmen Deutsche Wohnen in Sachen Vermietungspolitik, Miethöhen und Verwaltungsaufgaben zu regulieren, hat die Situation nicht nur am Kotti für viele Mieter*innen objektiv verschlechtert. Rekommunalisierung von Unternehmen ist in Berlin schon seit den 2000ern ein Thema – als Gegenbewegung zur neoliberalen Austeritäts- und Privatisierungspolitik und als basisdemokratische Volksbegehren gegen die Privatisierung der Wasserbetriebe, der Stromversorgung und des Nahverkehrs. Auch das Wohnen, so wurde uns klar, muss Teil der sozialen Infrastrukturen und keiner profitorientierten Logik unterworfen sein.

Aber wäre Rekommunalisierung, also der Eigentümerwechsel der Wohnungen zu einem der sechs Landeswohnungsunternehmen (LWU) eine wirkliche Verbesserung für die Mieter*innen? Es gab schon vor Jahren Mieter*inneninitiativen, die gezeigt haben, dass auch die LWUs Teil des Problems sind, da sie profitorientiert arbeiten mussten, seit die Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft wurde und sie teilweise in GmbHs und Aktiengesellschaften umgewandelt worden sind. Auch die demokratische Mitbestimmung fehlte. Daraus ergab sich, dass wir 2013 eine „Rekommunalisierung Plus (Mitentscheidung/Selbstverwaltung)“ forderten. Neue Initiativen wie „Stadt von Unten“ gründeten sich und brachten auch für Neubau und in der Planung die Forderung „selbstverwaltet und kommunal“ in den öffentlichen Diskurs. Der Mietenvolksentscheid zielte dann 2015 u.a. auf die (immer noch ausstehende) Umwandlung der LWU’s in gemeinwohlorientierte und demokratisch kontrollierte Betriebe (Anstalten öffentlichen Rechts – AöR).

Aus der Kotti-Perspektive

Diese Forderungen treffen gleichzeitig in vielen Kiezen und auch am Kotti auf eine Bewohner*innenschaft, deren gesellschaftliche Teilhabe lange Zeit ungewollt war. Die strukturellen Benachteiligungen aufgrund von Migrationsgeschichte oder Einkommensbedingungen bestehen bis heute.

Es geht für uns daher auch um eine Ermächtigung zur Mitbestimmung für Bewohner*innen in Kiezen, die strukturell marginalisiert sind. Jahrzehntelange Entrechtung insbesondere der Mieter*innen mit Migrationserfahrung, haben auch die Vorstellung von gesellschaftlicher Gestaltungsmacht austrocknen lassen. Doch die Organisierung u.a. in Mieter*inneniniativen schafft das Begehren nach mehr Mitbestimmung und das Eintreten für gemeinsame Interessen trotz der vielen Trennungslinien und Differenzen in solchen Nachbarschaften wie unserer. Auch für unsere Kieze wollen wir Modelle der sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe erstreiten und entwickeln.

Kotti konkret

Dies ist der Hintergrund für das „Modellprojekt Kottbusser Tor“, das durch unser Engagement und den Druck 2016 Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Dieses bildet den politischen Rahmen sowohl für unsere Studien „ReKomm Plus I+II“ als auch für die Arbeit des Mieterrats auf der Nordseite des Kottis, im Neuen Kreuzberger Zentrum (NKZ).

Die Kommunalisierung des NKZ 2017 (der Kauf durch die landeseigene Gewobag) war ein großer gemeinsamer Erfolg, während die Rekommunalisierung der Häuser auf der Südseite noch aussteht. Gemeinsam streben wir aber die Selbstverwaltung unserer Häuser rund um den Kotti an. Die 2018 zwischen dem Mieterrat NKZ und der Gewobag abgeschlossene Kooperationsvereinbarung ist ein erster Schritt in diese Richtung.

Es gibt darüber hinaus in ganz Berlin eine wachsende Szene, die sich für eine Demokratisierung der LWUs und für Modelle der Selbstverwaltung und Mitbestimmung einsetzt. So haben wir uns vor zwei Jahren mit anderen Häusern und Siedlungen in kommunalem Besitz zu dem Bündnis „kommunal und selbstverwaltet wohnen“(siehe Artikel in dieser Ausgabe) zusammengeschlossen. Kuswo ist in einen Dialog mit den LWUs getreten und verhandelt derzeit ein Stufenmodell der Mitbestimmung, in dem die Mieter*innenschaft in den jeweiligen Häusern den Grad der Selbstverwaltung bestimmen kann.

Wohnen als Gesellschaftliches Eigentum

Um unserer Rekommunalisierungsforderung mehr Druck zu verleihen, haben wir 2015 angefangen über die Möglichkeit von Enteignungen nachzudenken. Wir fanden raus, dass das Grundgesetz (Artikel 15) Enteignung ermöglicht und versuchten diese Perspektive zu verbreitern. 2018 hat sich dann die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ gegründet, die seitdem den Diskurs um den profitorientierten unsozialen Wohnungsmarkt gesellschaftlich skaliert hat.

Doch was passiert, wenn die Häuser „uns“ nach der Enteignung gehören? Wie zentral oder dezentral werden sie verwaltet? Wobei bestimmen die Mieter*innen mit? Unsere Erfahrung der re-kommunalisierten Häuser, auch am Kotti, zeigt umso deutlicher, dass nach der Re-Kommunalisierung nicht alles besser wird. In unserer ersten Studie („Re-Kommunalisierung Plus“) haben wir 2018 erfahren, dass viele Mieter*innen nach der Kommunalisierung des NKZ unzufriedener sind als mit der vorherigen lokalen Hausverwaltung.

Darüber hinaus will die Mehrzahl der Mieter*innen stärkere Mitbestimmung und Mitverwaltung in zentralen Fragen wie Miethöhen und Nebenkosten, Wohnumgebung, Gewerbe- und Nachbarschaftsentwicklung. Wir arbeiten an Modellen, die Ermächtigungen voranbringen, die gesellschaftliches Eigentum in Selbstverwaltung ermöglichen. Dabei erscheint uns eine Dezentralisierung der Entscheidungen schon deshalb wichtig, weil die Mieter*innen vor Ort auch das größte Wissen über ihr Haus und die Probleme und Fähigkeiten der Nachbarschaft haben.

Wir wollen alles!

Wir, die zahlreichen mieten- und stadtpolitischen Initiativen Berlins, sind schon weit gekommen. Wir haben die vermeintliche Logik des neoliberalen Gesellschaftsumbaus infrage stellen können, die Politik unter Zugzwang gesetzt und das Recht auf Stadt für alle in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte getragen.

Und doch sind noch viele Fragen unbeantwortet. Welche Art von Verwaltung brauchen die enteigneten Bestände? Welche Fragen der Mitbestimmung müssen auf welcher Ebene demokratisch neu organisiert werden? Wir brauchen die Ideen der gesamten Stadtgesellschaft und können auch aus der Geschichte lernen (z.B. womöglich aus dem jugoslawischen Weg des gesellschaftlichen Eigentums in Selbstverwaltung), um darüber hinaus über Modelle nachzudenken, die die Entscheidungsmacht umverteilen: Mieter*innengenossenschaft, Selbstverwaltung, gesellschaftliches statt staatliches Eigentum selbstverwaltet organisieren…

Heute geht es uns darum den Druck aufrechtzuhalten, die Modelle eines nicht profitorientierten Wohnens weiterzuentwickeln und in der Praxis zu erproben. Im Kleinen wie im Großen – am Kotti und überall in Berlin.

Kotti & Co und Freund*innen vom Mieterrat NKZ im September 2019