Wenn in den letzten Jahren über sozialen Wohnungsbau in Berlin entschieden wurde, kam die Perspektive der Mieter und Mieterinnen selten vor. Noch hat das Land Berlin einen Bestand von 150.000 Sozialwohnungen – die es für die darin lebenden Mieter_innen zu erhalten gilt. Das ist eine Größenordnung, – wir reden hier von einer knapp halben Millionen Menschen – die angesichts der dramatischen Lage auf dem Wohnungsmarkt in Berlin mehr Aufmerksamkeit bekommen muss.
Die Zukunft der Mieter*innen im sozialen Wohungsbau wurde in den letzten Jahrzehnten von parlamentarischen und verwaltungstechnischen Beschlüssen negativ beeinflusst .
Seit Mai protestieren daher wir Mieter*innen vom Kottbusser Tor Tag und Nacht in einem Protest-Camp für Lösungen. Wir sind entschlossen, weiter zu protestieren bis Lösungen gefunden werden. Es geht um unsere Zukunft und die Zukunft dieser Stadt.
Der Senat hat in diesen vielen Monaten effektiv nichts getan, um ein Aufhalten der Verdrängung zu versuchen. Dabei wäre die temporäre Wiedereinführung der Mietenkonzepte und damit die Absenkung der Mieten ein Leichtes. 22 Millionen würde eine Absenkung der Mieten auf die von uns geforderte Höhe von 4,-€ kalt in den „problematischen Großsiedlungen“ kosten. Zumindest 18.000 Wohnungen und damit ca. 80.000 Mieter*innen wären vor weiterer Verarmung, Traumatisierungen und Zwangsumzügen geschützt. Das wäre ein Anfang und es wäre machbar.
Auch in anderen Bereichen der Mieterstadt steigen die Mieten. Modernisierungen, Abriss, Ferienwohnungen etc. vertreiben die Bewohner*innen aus ihrem Zuhause. Die derzeitige Regierung hat auf all das kaum eine Antwort. Das Problem der steigenden Mieten und Verdrängung wird seitens der Politik jedoch nicht mehr verschwiegen. Das ist ein kleiner Fortschritt und es ist ein Erfolg der Zivilgesellschaft, der unterschiedlichsten Akteure, den Blick der Politiker*innen etwas relativiert und auf die dramatische Situation gelenkt zu haben. Wir grüßen alle Mitstreiter*innen in dieser Sache.
Das Mietenbündnis von Senator Müller betrifft letztendlich nur wenige Mieter*innen und kappt die Miete erst ab 6,60€ kalt. Es scheint angesichts der Problemlage der massiven Verdrängung wie gute PR Arbeit mit wenig Substanz in der Sache. Zu wenig wird getan, aber das Wenige groß aufgeblasen. Keine gute Situation für die Zivilgesellschaft, die sich mit viel Engagement und unentlohnter Arbeit um die Belange der Stadt sorgt.
Diese massive Problemlage der Gesamtstadt im Kopf, wollen wir uns mit der Konferenz dennoch auf den Sozialen Wohnungsbau beschränken, weil dieser jenseits aller anderen Regelungen und Gesetze existiert. Der Mietspiegel gilt hier nicht, ein Milieuschutz würde nicht greifen – es wurden Sondergesetze und -regelungen geschaffen und damit eine komplexe Problemlage, die anscheinend allen Lösungsversuchen im Wege stand.
Und nicht zuletzt konzentrieren wir uns auf die 150.000 Wohnungen des Sozialen Wohnungsbaus, weil es hier um eine Größenordnung geht, die nicht zu ignorieren ist. Und weil es um unsere Existenz geht.
Die Konferenz haben wir mit unserem Protest in 5 Monaten Protest-Camp erkämpft. Kotti & Co und das Berliner Bündnis Sozialmieter.de mit Unterstützung der Dossier-Gruppe organisieren die Konferenz als eine Einladung an die Verantwortlichen, an Lösungen für das in den letzten Jahrzehnten produzierte „Schlammassel“ des sozialen Wohnungsbaus zu arbeiten. Sollte dieser Versuch, nach konstruktiven Lösungen zu suchen, am politischen Willen der Verantwortlichen scheitern, sehen wir den Sinn in einem weiteren Dialog nicht, da ohne deutliche Taten der Dialog nur der Simulation von Sorge um die Mieter dient. Das sind post-demokratische Verhältnisse an denen wir nicht interessiert sind. Gesellschaft und Politik geht anders.
Warum jetzt?
Die Stadt wächst – und alle wollen in die Innenstadt. Warum ist das so? Nicht nur haben beispielsweise wir Kreuzberger*innen unseren Kiez lebenswert gemacht, sondern auch sicher – Zuzügler*innen aus dem europäischen und weiteren Ausland wissen das sehr gut und ziehen gezielt dahin, wo eine Interkultur existiert, keine Monokultur, die eine Tendenz zur Intoleranz bis hin zu rassistischer Gewalt zeigt. Generationen der hier lebenden Mieter*innen haben jedoch durch steigende Mieten kaum noch Möglichkeiten, in der Innenstadt zu leben. Die erhöhte Kostenmiete im sozialen Wohnungsbau verschärft das Problem weiterhin massiv. Hier steigen die Mieten nach dem Kostenmietsystem jährlich, die Mieter zahlen inzwischen mehr als 50% ihres Einkommens für die Miete. Diese vom Senat vorgeschriebenen Mieterhöhungen gehen direkt an die IBB. Wir sanieren also mit unseren Mieterhöhungen den Berliner Landeshaushalt.
Wer lädt ein?
Kotti & Co hat diese Konferenz mit unserem monatelangen Dauerprotest erkämpft. Es ist die einzige von unseren Forderungen, in die der Senat bisher eingewilligt hat. Wir Nachbarinnen und Nachbarn vom „Kotti“ sitzen seit Monaten auf der Straße und protestieren. Wir sind eine „stabile Nachbarschaft“, die ein „gutes Miteinander“ permanent lebt – etwas wofür der Senat sonst erst Programme auflegt, haben wir längst erreicht. Wir haben in Kreuzberg, am Kotti in unserem gemeinsamen Engagement für den Erhalt dieses Miteinander die Trennungslinien überwunden, die z.B. durch Herkunft, Religion oder Einkommen gezogen werden. Denn wir schätzen unser nachbarschaftliches Zusammenleben und sehen seine Schönheit und Produktivität für unseren Alltag und unsere Zukunft.
Wir fordern seit Monaten zwei wesentliche Dinge:
– Sofortmaßnahmen, um nicht aus unseren Wohnungen vertrieben zu werden (Wiedereinführung der Mietenkonzepte)
– Nachhaltige Lösungen für den Sozialen Wohnungsbau im Sinne der Mieter*innen
Für zweites organisieren wir als Kotti & Co gemeinsam mit dem berliner bündnis sozialmieter.de die Konferenz. Unter Schirmherrschaft des Stadtsoziologen Dr. Andrej Holm und in technischer Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wird die Konferenz am 13. November in den Räumen des Abgeordnetenhauses stattfinden.
Warum?
Wenn nicht schnellstmöglich eingegriffen wird, wird das gewachsene Miteinander der beliebten Berliner Kieze zerstört. Das Eingreifen muss zunächst in Form von kurzfristigen „Brückenlösungen“ (E. Gothe) erfolgen. Diese Konferenz ist der Auftakt, um nach langfristigen, nachhaltigen Lösungen für den sozialen Wohnungsbau zu suchen.
Gekoppelt an den Sinn solcher Lösungen ist jedoch der Erhalt der derzeitigen Mieter- und Nachbarschaftsstruktur. Diese ist akut bedroht und muss durch die temporäre Einführung einer Mietbegrenzung entsprechend der Einkommenslage der Mieter*innen erfolgen!!! Derzeit sind fast 90% der engagierten Mieter*innen von Kotti & Co von einer Verdrängung bedroht. Unsere Löhne reichen nicht mehr aus. Wir erhalten vom Jobcenter Aufforderungen, die „Kosten der Unterkunft“ zu senken oder auszuziehen. Wir zahlen aus dem niedrigen Regelsatz (384,-€/Monat) noch zur Miete dazu. Wir sparen am Essen. Diese Notlage macht uns entschlossen, unseren Protest am Kottbusser Tor fortzusetzen.
Wir organisieren diese Konferenz, weil wir wissen, dass das Problem langfristig gelöst werden muss und weil wir uns um die Zukunft dieser Stadt und ihren Landeshaushalt sorgen. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die hier die Lösungsansätze erarbeiten und die diese Stadt mit aufgebaut haben, vertrieben werden!
Was passiert auf der Konferenz?
Nach einem Auftakt wird es vier parallele Arbeitsgruppen geben. In diesen werden nach kurzen Impulsreferaten der eingeladenen „Expert*innen“ die vorgetragenen Probleme und Lösungsansätze diskutiert.
Kostenmieten:
Aus der Perspektive der Mieter*innen gelesen, stellen wir hier Fragen wie:
– Wie ist das Kostenmietensystem angelegt und woher kommen die Mietsteigerungen?
– Wohin fließt das Geld, das wir mit den Mietsteigerungen aufbringen?
– Wie werden die Mieten weiter steigen und wer verdient daran?
Wegfall der Anschlussförderung und Berliner Wohnraumgesetz
– Welche Probleme ergeben sich durch den Wegfall der Anschlussförderung?
– Warum lässt der Senat Sozialmieterinnen und Sozialmieter für Kosten bezahlen, die es gar nicht gibt?
– Warum verschenkt Berlin tausende Belegungsrechte an Immobilienspekulanten?
– Warum werden überteuerte Kostenmieten nicht sofort und ohne hierdurch den Landeshaushalt zu belasten gesenkt?
– Wie muss das Berliner Wohnraumgesetz bei der im nächsten Jahr stattfindenden Novellierung geändert werden, um die Ressourcen des Landes zu sichern?
– Warum führt das Land keine soziale Richtsatzmiete ein?
Hartz IV und Sozialer Wohnungsbau:
– Wieviele Mieter*innen des Sozialen Wohnungsbaus sind mit der Kostensenkungsaufforderung der Jobcenter konfrontiert?
– Wieviel zahlen Familien im Schnitt dazu und was hat das für Auswirkungen für die Mieter?
– Welche Maßnahmen könnten hier sofort ergriffen werden?
Modelle der Alternativen zum aktuellen Kostenmietensystem:
– Welche alternativen Modelle zu den Mietsteigerungen sind denkbar?
– Wie sind diese finanzierbar?
– Welche Auswirkungen hätten diese jeweils für die Mieter*innen?
– Welche Maßnahmen können angesichts des derzeitigen Modells dorthin führen?
– Wie können langfristig niedrige Mieten im Sozialen Wohnungsbau gesichert werden?
Das genaue Programm wird rechtzeitig bekannt gegeben.
Eingeladen sind alle, denen es darum geht, Lösungen im Sinne der Mieter*innen zu finden und jene, die in der Verantwortung für die Zukunft der Stadt stehen. Das geht über die Stadtentwicklung hinaus, denn wir sind zwar Mieter*innen, aber auch Bürger*innen dieser Stadt, die die Innenstadtkieze zu dem gemacht haben, die sie sind, mit verschiedensten Lebensgeschichten und Erfahrungen der Migration und vor allem mit Visionen für die Stadt von morgen.
Wir grüßen alle Mitstreiter*innen, die um ein soziales Berlin von morgen ringen, die ideenreich und kreativ die mannigfaltigen Parallelgesellschaften unserer Stadt durchbrechen, die Öffentlichkeiten und Schnittstellen erarbeiten, denen es nicht nur um ihr eigenes Wohl geht – sondern denen es um das Zusammenleben in unserer wunderbaren Stadt Berlin geht.
Kotti & Co
Die Mietergemeinschaft am Kottbusser Tor und darüber hinaus.