Ein frischer Rasen im demokratischen Raum. Berlin/Kreuzberg/Oranienplatz im April 2014.
Die Refugees haben die Änderung des schikanösen Asylsystems gefordert und ein Teil bekam zuletzt eine „Prüfung der Einzelfälle“. Wir wissen: das Problem sind nicht die, die vor Not ihr Zuhause hinter sich lassen mussten und um ihre sozialen und politischen Rechte kämpfen, sondern die systematische Einteilung in Kategorien mit vollen und abgestuften Rechten: „Deutsche“, „Flüchtlinge“, „Ausländer“, „Migranten“, „Asylbewerber“…
Doch diejenigen, die am Oranienplatz in den letzten anderthalb Jahren eine Sichtbarkeit des Unrechts erstritten haben, erkämpften eine Zäsur im Schengenland. Ein Protestcamp von Refugees gegen die Asylpolitik in mitten der Hauptstadt des „mächtigsten Landes Europas“ hatte es zuvor noch nicht gegeben. Noch nie wurde die Unmenschlichkeit des Migrationsregimes und seiner Asylgesetzgebung so plakativ in der Mitte der Gesellschaft sichtbar. Dem Akt der Selbstermächtigung der Refugees, dem Marsch durch Deutschland und der Besetzung des Oranienplatzes ist es zu verdanken, dass überhaupt über die inhumane Residenzpflicht, Arbeitsverbot, Abschiebepraxis und weitere schikanöse Gesetze der Einwanderungsgesellschaft breiter öffentlich diskutiert wird.
Es waren und sind demokratische Akte des Ermächtigens und des Sprechens. Es gehört zur inneren Logik des deutschen Rechtssystems, dass dieser Akt nicht kompatibel ist mit den Vorgaben der Grünflächenverordnung.
Es geht hier nicht darum, die Situation am Oranienplatz zu verklären. Sie war komplex, vielschichtig, widersprüchlich und vieles mehr.
Diese Situation – das vergessen wir nicht, ist ein Resultat der Handlungsunfähigkeit der Regierung. Handlungsunfähig war sie, weil es kein Verfahren gibt, wie mit dem, was sonst nur an den Aussengrenzen Europas sichtbar wird, umzugehen ist. Es ist die juristische, soziale und kulturelle Unfähigkeit, Menschen ein sicheres Asyl zu geben, die unter anderem, eine Insel namens Lampedusa in Ihre Biografie eingeschrieben bekommen haben. Hier stößt das Recht auf seine Grenzen. Demokratische Rechte, die vielen von uns bereits in die Wiege gelegt wurden, gelten in diesem Land nicht für alle.
Das Problem, für das die Politik keine Antwort hat, transformierte sich in aller Öffentlichkeit mitunter in ein soziales Drama. Den vorerst letzten Akt haben nun die Landesregierung und der Bezirk Kreuzberg geschrieben – unter Mithilfe derer, die am wenigsten Rechte hierzulande haben. Dies geschah nach anderthalb Jahren in einer Situation der Schwäche des Protestes. Nun soll sprichwörtlich wieder Gras über die Sache wachen.
Durch die Zusicherung einer Unterkunft, der Prüfung ihrer Asylanträge (das „wohlwollende“ Prüfen wurde innerhalb der Koalition verhindert) und Geld, haben einige sich für den „Strohhalm“ entschieden und das Camp (mit-)geräumt. Die Politik hat sie hierbei zu „Hilfspolizisten“ gemacht. So hatte es der ausgehandelte Vertrag vorher festgelegt. Eine Gruppe tat dieses bekanntermassen gegen den Willen und den Widerstand einiger, die den Protest vor zwei Jahren begonnen haben und die grundsätzliche Rechte forderten.
Beim Oranienplatz ging und geht es um elementarste Rechte für Refugees. Das Recht sich frei zu bewegen und ihren Wohnort frei zu wählen. Das Recht auf Arbeit. Das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe. Recht auf medizinische Versorgung. Das Recht auf Bildung. Nicht um Einzelfallprüfung.
Die Refugees wurden analog zur Schengen-Gesetzgebung getrennt, bzw. gespalten. Das ist tragisch und normal zugleich. Wir kennen das. Auch innerhalb unserer Communities gibt es diese Trennungen. Und diese Trennungen entlang des Aufenthaltstatuses sind leider normal, stellen sie doch meist für die Betroffenen den juristischen Rahmen ihrer Existenz dar. Auch unsere Gruppe trägt diese Unterschiedlichkeiten in sich. Manche haben seit Geburt einen sicheren Aufenthaltsstatus, manche haben eine Aufenthaltsgenehmigung auf Zeit, andere sind nur geduldet. usw., usf. Wir kämpfen um gesellschaftliche Teilhabe, wenn auch mit zum Teil unterschiedlichen Ausgangsbedingungen. Wir sehen uns darin. Auch das ist das Privileg der Solidarität, die im Protest gewachsen ist.
Ein Vergleich zwischen dem Oranienplatz und unserem Protest, wie er in den letzten Tagen gelegentlich gezogen wurde, ist jedoch unlauter. Wir verwahren uns davor „der gute Protest“ zu sein, denn die Menschen am Oranienplatz, so unterschiedlich sie auch sind, kämpfen um ihre Existenz, um ihre elementarsten sozialen Rechte. Wir kämpfen um unser Zuhause und unser Recht auf gesellschaftliche Teilhabe im städtischen Raum. Nicht alle kämpfen mit den gleichen Ressourcen. Nicht in unserer Gruppe von NachbarInnen und auch nicht im Vergleich zum Oranienplatz. (Und ohne die breite Unterstützung, ohne die Solidarität, die wir in den letzten zwei Jahren von vielen Seiten erfahren haben, ohne die wunderbaren Menschen die sich mit unseren Anliegen identifizierten, wäre es uns nicht möglich gewesen, unseren Protest um die soziale Wohnraumversorgung,das Recht auf Stadt, so lange aufrecht zu halten.)
Wir haben nicht vergessen, dass der Regelverstoss, das „unerlaubte Betreten des Rasens“ konstituierend für unseren Protest war. Unser Protesthaus hatten wir ohne Genehmigung errichtet. Wir taten dies, nachdem wir schon mehr als ein Jahr gegen die Mauern des politischen Apparats gerannt waren. Erst als wir uns zu einem „Problem“ für die Politik gemacht haben, war die Politik auch zum „Dialog“ bereit.
So ein Dialog ist nie auf Augenhöhe. Wir haben nicht die gleichen Ressourcen und den gleichen Zugang zur medialen Öffentlichkeit. Ein „Hauptsache wir reden miteinander“-Dialog, wie wir ihn kennengelernt haben, ist oftmals folgenlos. Wenn die Regierung auf Dialog setzt, ersetzt das lange Reden oftmals die geforderten Rechte. So wird Dialog als Regierungstechnik zum Placebo der sozialen Rechte. Auch wir haben keinen Dialog gefordert, sondern das Recht auf Stadt! Wir wissen – der Kampf um soziale Rechte ist ein zäher und langer Kampf.
Wer jedoch den politischen Apparat kennen lernt, weiss um die Binnenlogiken, denen BerufspolitikerInnen unterworfen sind (bzw. welcher Ordnung sie sich unterwerfen). Die Gesetze schützen diese Ordnung und nicht unbedingt die demokratischen und sozialen Rechte. Die müssen wir uns immer wieder erkämpfen. Die sozialen und politischen Rechte der Refugees in Deutschland werden massiv verletzt. Die oftmals juristische und soziale Unterlegenheit der Armen im Kontext der Verdrängung in den Städten, sind ein Abbild dieser Ordnung, und es braucht die demokratische Grenzüberschreitung, um die Rechte zu erlangen.
Es braucht Regelverletzungen, um die Probleme zu benennen. Eine Besetzung ist so ein Verstärker. Wenn Demokratie in einer Gesellschaft der Ungleichheit stattfindet, dann gibt es immer auch Akte des Protestes, die die gesellschaftliche Ordnung neu definieren. Wer meint, „das gehöre sich nicht“ und ordnungspolitisch argumentiert, scheut den demokratischen Konflikt und möchte erfolgreichen außerparlamentarischen Protest letztendlich verhindern. Dabei wird indirekt auch die Wirklichkeit der BerufspolitikerInnen Verwaltungen und Ordnungsämter zum Handlungshorizont einer Gesellschaft erhoben. Das ist uns einfach zu wenig Demokratie.
Vor diesem Hintergrund sind wir glücklich darüber, in Kreuzberg zu leben. Hier leben viele Menschen die die Widersprüche, die diese Gesellschaft in sich trägt, nicht unter den Teppich kehren wollen.
Wir verwahren uns dagegen, dass in Zukunft keine Besetzungen seitens des Bezirkes mehr geduldet werden sollen. Das Mindeste, was wir von einer Bezirksregierung erwarten, ist es, den gesellschaftlichen Widersprüchen Raum zu geben. Demokratie braucht Streit. Und streiten tut man sich eben (auch) im städtischen Raum. Genau aus diesem Grund werden wir auch in Zukunft bereit sein, den Rasen zu betreten, wenn es uns erforderlich erscheint.
Demokratie ist kein „Betreten Verboten“ – Rasen.
Für das Recht auf Stadt und für das Bleiberecht in diesem Land.
Mit solidarischen Grüßen vom Kotti.
… und bis bald.
Kotti & Co im April 2014