Sehr geehrte Frau Senatorin Lompscher,
sehr geehrte Damen und Herren Fraktionsvorstände von SPD, Die Linke, Bündnis90/Die Grünen
im Abgeordnetenhaus von Berlin,
sehr geehrte Sprecherinnen und Sprecher der Regierungsfraktionen
für Wohnungs-, Finanz-, Rechts- und Verbraucherschutzpolitik,
am 28. Juni 2017 wird der Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen in einer Sondersitzung über das Vorschaltgesetz zur Reform des Sozialen Wohnungsbaus in Berlin beraten. Die Koalitionsfraktionen werden gegenüber dem vom Senat am 9. Mai beschlossenen Gesetzentwurf[1] wesentliche Änderungen[2] beantragen. Auch wenn einzelne Elemente in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung zu begrüßen sind, müssen wir das Gesetzvorhaben insgesamt stark kritisieren.
Wir begrüßen, dass rückwirkende Mieterhöhungen für Sozialwohnungen künftig ausgeschlossen sein sollen und dass die Mietzuschussregelung ausgeweitet wird. Wir sehen es als Fortschritt an, dass zukünftig Sozialbindungen nicht mehr ohne Erfordernis und ohne Gegenleistung aufgegeben werden. All dies haben wir seit langem gefordert und ist überfällig.
Unsere Kritik am Vorschaltgesetz
Dennoch greifen diese Maßnahmen viel zu kurz. Wenn man den Koalitionsvertrag ernst nimmt, wollen die Regierungsparteien nun wortbrüchig werden. Konkret kritisieren wir folgende Punkte:
- Kappungsgrenzen für Mietzuschüsse: Im Koalitionsvertrag wurde die Umstellung der Mietzuschussregelung von nettokalt auf bruttowarm festgelegt[3]. Im vom Senat beschlossenen Gesetzentwurf wurde dies auch umgesetzt: Mieterhaushalte mit Wohnberechtigungsschein (WBS) sollten zukünftig höchstens 30 Prozent des Einkommens für die Bruttowarmmiete aufwenden müssen. Mit den jetzt von der Koalition beantragten Änderungen sollen die Mietzuschüsse durch eine Kappung begrenzt werden. Der bisherige maximale Mietzuschuss für Mieterhaushalte mit WBS soll sich nun entsprechend dem Grad der Unterschreitung der in Berlin geltenden WBS-Einkommensgrenzen gar nicht oder um maximal 1,25 €/m² um maximal 2,50 €/m² erhöhen: Für Details vgl. Anlage 2 zu diesem Brief. Dies bedeutet: Ausgerechnet die Mieterinnen und Mieter mit geringen Einkommen und teuren Mieten werden künftig mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufbringen müssen. Statt einer Begrenzung der Mietbelastungsquote (auf 30 Prozent) sollen nun die Härtefallzuschüsse begrenzt werden.
- Keine Mietzuschüsse für neue Mieterhaushalte in Wohnungen ohne Anschlussförderung: Im Koalitionsvertrag wird versprochen, dass „alle Wohnungen des alten sozialen Wohnungsbaus […] stärker für die Wohnraumversorgung von Haushalten mit geringen Einkommen genutzt werden [müssen]“[4]. Jetzt werden Ausnahmen definiert. WBS-Haushalte, die nach dem 1. Januar 2016 eine Wohnung ohne Anschlussförderung bezogen haben oder zukünftig beziehen werden, sollen weiterhin keine Mietzuschüsse erhalten. Dabei hatte der frühere Stadtentwicklungssenator Geisel in einer Pressemitteilung[5] ausdrücklich angekündigt, dass die „verloren geglaubte[n] Sozialwohnungen wieder sicher und bezahlbar gemacht“ würden, womit er die Wohnungen ohne Anschlussförderung meinte. Die Rücknahme dieses Versprechens ist ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Sozialmieterinnen und Sozialmieter und ein Wortbruch.
- Keine Maßnahmen gegen den derzeitigen Verlust von Sozialbindungen: Im Koalitionsvertrag aus dem letzten Jahr wurde vereinbart, „zügig“[6] den Paragraphen 5 des Berliner Wohnraumgesetzes abzuschaffen, um die vorfristige Beendigung von Sozialbindungen zu verhindern. Um einer befürchteten Welle von vorfristigen Bindungsverlusten entgegenzuwirken, müsste der Gesetzentwurf zumindest ab dem Zeitpunkt seines öffentlichen Bekanntwerdens in Kraft gesetzt werden. Dies ist jedoch nicht vorgesehen und eröffnet Eigentümerinnen und Eigentümern die vermeidbare Möglichkeit, jetzt noch schnell und ohne Gegenleistung und ohne Nachwirkungsfrist aus dem Sozialen Wohnungsbau auszusteigen. Das bedeutet weitere Geschenke an die Eigentümerseite und weitere Kosten für das Land bei der Wiederbeschaffung der verlorengehenden Bindungen.
- Weiterhin fiktive Kostenmieten möglich: Die Regierungsparteien verständigten sich im Koalitionsvertrag darauf, dass mit dem Vorschaltgesetz der sog. „Einfrierungsgrundsatz“ präzisiert wird[7]. Damit soll verhindert werden, dass Mietforderungen auf der Basis fiktiver Kostenansätze anstatt auf Grundlage von tatsächlich entstehenden Aufwendungen gestellt werden. Doch eine entsprechende gesetzliche Regelung soll es entgegen der Ankündigung nicht geben. Dies bedeutet, dass Eigentümerinnen und Eigentümer ihre Mieten nach wie vor mit den historischen Kosten zum Zeitpunkt der Errichtung der Wohnungen begründen, selbst wenn sie durch Verkäufe o.ä. längst deutlich geringere Kosten tragen. So müssen Mieterinnen und Mieter sowie das Land Berlin weiterhin für zusätzliche Gewinne im Sozialen Wohnungsbau bezahlen.
Die von den Regierungsparteien beantragten Änderungen zum bisherigen Gesetzentwurf zeigen, dass es in der Koalition keine einheitliche Haltung zur Reform des Sozialen Wohnungsbaus gibt. Wir sind bestürzt, dass bei der Rettung der Sozialwohnungen Argumente und Fakten kaum eine Rolle spielen und stattdessen Lösungsansätze zur bloßen Verhandlungsmasse von koalitionsinternen Interessen gemacht werden.
Unsere Forderung: Mietobergrenzen beibehalten und keine Mietuntergrenzen schaffen
Angesichts des mangelhaften Vorschaltgesetzes fordern wir, die anstehende Gesamtreform des Sozialen Wohnungsbaus zu nutzen, um endlich die grundlegenden Probleme anzugehen. Berlin kann es sich nicht leisten, dass dem seit Jahrzehnten verfehlten Umgang mit dem Sozialen Wohnungsbau ein weiteres Kapitel des Scheiterns hinzugefügt wird. Zu einer Abwicklung der bestehenden Sozialwohnungen darf es nicht kommen.
Die uns bekannten Entwürfe der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen machen uns große Sorgen. In den Vorschlägen zur Einführung von Richtsatzmieten sollen erstmals in der Geschichte des Sozialen Wohnungsbaus Eigentümereinnahmen oberhalb der Kostenmieten legalisiert werden. Die Mieterinnen und Mieter sollen zum Teil Mieten bezahlen, die für ihre Wohnungen überhaupt nicht anfallen. Statt der Kostenmieten, also der Mietobergrenzen, sollen Mietuntergrenzen eingeführt werden. Die Mieten dürften die dann festgesetzten Beträge nicht unterschreiten, auch wenn dies wirtschaftlich nicht erforderlich ist. Das darf nicht geschehen. Die bestehenden Mietobergrenzen müssen beibehalten und Mietuntergrenzen dürfen nicht geschaffen werden.
Subventionierung Berlins durch Sozialmieterinnen und Sozialmieter verhindern
In einigen Vorschlägen ist vorgesehen, dass der Staat die überhöhten Mietzahlungen von den Eigentümerinnen und Eigentümern abschöpft. Aus Mietersicht ändert sich hierdurch nichts: Abzocke bleibt Abzocke, auch wenn sie „Richtsatzmiete“ genannt wird und das Land Berlin der Abzocker ist! Würde Berlin die Mieteinahmen abschöpfen, die die Aufwendungen – d.h. die „Kosten“ für die Wohnungen plus garantierte Eigentümerrendite – übersteigen, hieße das, dass Sozialmieterinnen und Sozialmieter Berlin subventionieren würden, statt umgekehrt. Eine solche Reform würde dem Sozialen Wohnungsbau eine weitere absurde Wendung geben und würde von uns keinesfalls akzeptiert. Der Vorschlag von Teilen der Koalition ist schon deshalb inakzeptabel, weil es den Mieterinnen und Mietern nicht mehr möglich wäre, die Miethöhe materiellrechtlich vor Gericht überprüfen zu lassen. Es darf keine Verschlechterung beim Mieterschutz geben!
Lösungsvorschläge zum Wohl der Mieterinnen und Mieter endlich ernst nehmen
Eine mieterfreundliche Reform des Sozialen Wohnungsbaus wird es nur in Zusammenarbeit mit und nicht gegen die Mieterinnen und Mieter geben. Im Koalitionsvertrag wird versprochen, dass „in den Entscheidungsprozess […] externe Expertise einbezogen“[8] wird. Wir sind im Laufe der Jahre notgedrungen zu Kennern der Problematik geworden und haben in der Vergangenheit eine Reihe von konkreten Lösungsvorschlägen für eine umfassende Reform des Berliner Sozialen Wohnungsbaus vorgelegt. In den letzten Wochen gab es zwar Gespräche mit der Verwaltungsspitze und Koalitionsabgeordneten, doch reicht dies nicht aus. Immerhin haben wir nicht nur mit unserem jahrelangen Protest dafür gesorgt, dass das Thema überhaupt auf die Agenda gesetzt wurde, sondern fachkundig Wege aufgezeigt, wie die Probleme gelöst werden können. Zusammen mit anderen Experten haben wir ein umfassendes Konzept einer aufwendungsbegrenzten Richtsatzmiete erarbeitet, das wir „Berliner Modell“ nennen. Dieses liegt den wohnungspolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Regierungsfraktionen seit langem vor.
Leider wird dieses Konzept von der Senatsverwaltung und Teilen der Koalition konsequent ignoriert. Wenn die Reform des Sozialen Wohnungsbaus zu einem Erfolg werden soll, dann muss die Politik mit den betroffenen Mieterinnen und Mietern und mit der Stadtgesellschaft mehr als nur Gespräche führen: Sie muss vielmehr wirklich bereit sein, sich für Ideen und Sachargumente zu öffnen und der Verwaltung anschließend klare Vorgaben machen, die diese dann zu erfüllen hat.
Wir fordern deshalb die gesamte Koalition eindringlich dazu auf, ihre Blockadehaltung unserem Reformkonzept gegenüber endlich zu beenden und unsere Vorschläge einer eingehenden wohnungs-, finanz-, rechts- und verbraucherschutzpolitischen Prüfung zu unterziehen. Mit Lippenbekenntnissen, in denen von der Einbeziehung der Zivilgesellschaft die Rede ist, dies auf inhaltlicher Ebene aber nicht geschieht, ist es jedenfalls nicht getan.
Berlin, den 26. Juni 2017
Kotti & Co / Die Mietergemeinschaft am Kottbusser Tor
Mieterstadt.de / Netzwerk für soziales Wohnen und bürgernahe Stadtentwicklung e.V.
Anlagen:
2) Kappung der Mietzuschüsse (Word- download)
[1] Vgl. Abgeordnetenhaus-Drucksache 18/0336 vom 10. Mai 2017
[2] Vgl. Anlage 1 zu diesem Brief
[3] Vgl. Koalitionsvertrag, Zeile 149 f.
[4] Vgl. Koalitionsvertrag, Zeile 124 ff.
[5] Pressemittelung des früheren Stadtentwicklungssenators Geisels vom 14.07.2016:
http://www.stadtentwicklung.berlin.de/aktuell/pressebox/archiv_volltext.shtml?arch_1607/nachricht6118.html
[6] Vgl. Koalitionsvertrag, Zeile 151 f.
[7] Vgl. Koalitionsvertrag, Zeile 152 ff.
[8] Vgl. Koalitionsvertrag, Zeile 139