„Die Berlinerinnen und Berliner haben sich entschieden. Das nehme ich mit Respekt zur Kenntnis. Dennoch bedaure ich die vergebene Chance, 4700 dringend in der Innenstadt benötigte städtische Wohnungen auch für kleine und mittlere Einkommen bauen zu können.“ (Senator Müller)
„Jetzt sind die Wählerinnen und Wähler an fehlenden bezahlbaren Mieten schuld, weil sie das Feld nicht freigeben wollen? Ha-llo-ho!“ (Spreeblick-Blog)
„Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“ (Bertold Brecht)
Der Senat tat in seiner Kampagne alles dafür, die Entscheidung um das Tempelhofer Feld zu der Frage um bezahlbare Mieten an sich zu machen. Doch, wunder was, wir und viele andere Berliner_innen können selber rechnen: Von den geplanten 4.700 Wohneinheiten auf dem Feld, sollten nur 1.700 an öffentliche und genossenschaftliche Unternehmen vergeben werden. Das heißt 2/3 wären wieder an private Investoren gegangen.
Und mit dem Schmu noch nicht genug: von den 1.700 sollte nur die Hälfte „bezahlbar“ sein – damit meint die politische Klasse Quadratmeterpreise von 6,- bis 8,-€! Es wären also 850 Wohnungen entstanden, die 8,-€ kosten – damit wollte der Senat das Wohnungsproblem für uns lösen! Das Ergebnis des Volksentscheid hat gezeigt, dass wir Berliner_innen uns nicht für dumm verkaufen lassen.
Berlin hat verstanden, dass Neubau nicht das Allheilmittel, sondern nur eins unter vielen Instrumenten für eine soziale Wohnraumversorgung sein kann. Das Votum für Tempelhof 100% war auch ein starkes Votum für Bestandsschutz und soziale Mieten.
Die Ergebnisse des Volksentscheides zum Tempelhofer Feld zeigen (besonders im Kontrast zu den Ergebnissen der EU Wahl) eines sehr deutlich: hier wurde die verfehlte Mieten- und Stadtentwicklungspolitik des Senates symbolreich abgewählt. Die Liebe zu einem verwertungsfreien Himmel über Berlin, dem Tempelhofer Feld und der Flughafen BER mit seinem selbstherrlichen Bürgermeister taten ihr übriges, um in allen Bezirken eindeutige Abstimmungsergebnisse zu produzieren. (Es ist davon auszugehen, dass das Ergebnis noch eindeutiger gewesen wäre, wenn wirklich alle BerlinerInnen hätten abstimmen dürfen und nicht nur die heute wahlberechtigten…)
Das Ergebnis des Volksentscheides ist somit Ausdruck davon, dass viele Berliner und Berlinerinnen verstanden haben, dass der vom Senat erarbeitete Masterplan ihnen herzlich wenig nutzt und der Entwicklung der Stadt undienlich ist.
Was ist das für ein Wissen der Berliner Stadtgesellschaft, welches hier in den letzten Jahren herangereift ist und im Volksentscheid um das Tempelhofer Feld seine Zuspitzung erfahren hat?
Wir denken, es ist unter anderem das Wissen der Mieter und Mieterinnen, dass Neubau die heutigen Probleme mit den explodierenden Mieten im Bestand nicht lösen wird. Es ist das Wissen, dass viele bei der aktuellen Entwicklung Berlins auf der Strecke bleiben. Auch ist es die alltägliche Erfahrung, mit anzusehen wie der Verwertungsdruck des Immobilienmarktes ganze Kieze in Dienstleistungspassagen transformiert. Es ist die Erfahrung, in einer Stadt zu leben, die anderen gehört und die von dritten (ver)plant wird.
Seit der Wahl 2011 ist seitens der Koalition aus SDP und CDU wenig passiert um MieterInnen im Bestand vor Verdrängung zu schützen. So wie überall, Land auf Land ab, soll nun auch in Berlin seit einiger Zeit primär der Neubau von Wohnungen „den Markt entspannen“.
Instrumente zu schaffen, die ein signifikantes Segment an Wohnungen bereitstellen, welches jenseits von Marktlogik funktioniert, darauf kommt diese Regierung bisher nicht. Die polarisierende 100% Stillstand-Kampagne des Senates und die demgegenüber stehende mickrige Prozentzahl der am Feld geplanten „bezahlbaren“ Wohnungen stellt letztendlich ein Bankrott der sozialen Stadtentwicklung des Senates dar.
Die BerlinerInnen haben verstanden, dass am Tempelhofer Feld nie um Wohnungsbau für Menschen mit kleinem Geldbeutel ging. Beim Tempelhofer Feld ging es somit auch nie um die Frage der sozialen Wohnraumversorgung für Berlin. Das ist jedoch heute die zentrale Frage, wenn es um die Stadt von morgen gehen soll.
Wir teilen mit der 100% Initiative die Erfahrung, dass der angebliche Ausgleich von Interessen, den die Politik gerne anmahnt, letztendlich nicht die Interessen der Stadtgesellschaft, sondern oftmals die der Lobbyisten und des Bau-Politik-Klüngels sind.
Der Senat hat sich in den letzten Monaten unglaubwürdig gemacht, als er einerseits einen Bedarf von 137.000 Wohnungen bis 2025 prognostiziert hat (StEP Wohnen) und gleichzeitig 140.000 bestehende Sozialwohnungen und mit ihnen die Mieter_innen fallen lässt.
Ende Mai jährt sich unsere Besetzung des südlichen Kottbusser Tors zum zweiten Mal. Seit 2 Jahren fordern wir, dass der Senat endlich die Verantwortung für hunderttausende Sozialwohnungen in dieser Stadt übernimmt. Vorschläge für nachhaltige und soziale Auswege liegen auf dem Tisch. Die soziale Wohnraumversorgung dieser Stadt ist kein Partikularinteresse. Sie stellt die Frage nach der sozialen Daseinsfürsorge der Gesellschaft. Sie ist eine der wesentlichen Säulen einer demokratischen und sozialen Stadtentwicklung!
Dafür braucht es den Schutz der BestandsmieterInnen und sozialen Wohnungsneubau, der den Namen auch verdient. Beides ist seit dem 25.5.2014 der unmissverständliche Auftrag der Stadtgesellschaft.
Kotti & Co, Ende Mai 2014
Hier nochmal eine Art Zusammenfassung warum hat der Senat aus unserer Sicht den Volksentscheid so klar verloren hat:
1. weil die BerlinerInnen sehr genau hingeschaut haben, – auch hinter die PR Kulissen, die der Senat aufgestellt hat
2. weil der Senat die Tempelhof-Bebauung zur sozialen Wohnraumfrage gemacht hat, haben auch viele ihn genau daran gemessen
3. Wir haben verstanden, dass wir für dumm verkauft wurden, wenn behauptet wurde, da würden 4.700 Wohnungen zu bezahlbaren Mieten gebaut werden
4. Nur 1.700 der 4.700 Wohnungen sollten von kommunalen oder genossenschaftlichen Eigentümern gebaut werden, davon nur die Hälfte – 850 – angeblich „bezahlbar“ – eine weitere Nebelkerze, denn Bezahlbarkeit hört bei 6,-€ kalt eigentlich auf. 25% der Berliner Bevölkerung können sich diese Mieten niemals leisten.
5. Weil die BerlinerInnen wissen, dass Neubau ihre heutigen Probleme mit den explodierenden Mieten nicht lösen wird.
6. Weil der Senat eine arrogante Zuspitzung des Stadtentwicklungsdiskurses gefahren hat. Der engagierten Zivilgesellschaft „100% Stillstand“ vorzuwerfen war einer demokratischen Auseinandersetzung nicht würdig.
7. Weil seit 2011 wenig passiert ist um MieterInnen im Bestand vor Verdrängung zu schützen.
8. Weil die BerlinerInnen verstanden haben dass es der Initiative T100% nicht um Partikularinteressen, sondern um das Gemeinwohl geht.
9. Weil die BerlinerInnen wissen dass stadtentwicklungspolitische Expertise längst bei vielen Inititiven selbst angesiedelt ist.
10. Weil die BerlinerInnen lieber *nein* als *ja* zu einem weiteren Großprojekt sagen, welches keine haushaltspolitische Nachhaltigkeit verspricht.
11. Weil Bürgerbeteiligung mit PR Agenturen höchstens simuliert werden kann und weil spätestens seit Stuttgart 21 die politische Klasse den gesellschaftlichen Auftrag um mehr Partizipation nicht umzusetzen vermag.
12. Weil die BerlinerInnen wissen, dass der sog. Ausgleich von Interessen, den die Politik anmahnt, letztendlich nicht die Interessen der Stadtgesellschaft, sondern den der Lobbyisten und des Bau-Politik-Klüngels sind.
13. Weil die BerlinerInnen, einen Ort, jenseits von Verwertung(sdruck), aber dafür mit Raum und freien Horizont brauchen.